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A. Zielvorgabe zum Marktanteil

Initiativen mit einer Zielvorgabe fordern, dass sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein gewisser Anteil der Wohnungen im Eigentum gemeinnütziger Wohnbauträger befinden muss.

Inhaltsverzeichnis Kurz erklärt
Die Forderung nach einer konkreten Zielvorgabe hinsichtlich Marktanteils gemeinnütziger Wohnbauträger ist ein beliebtes Instrument. Entsprechend zahlreich finden sich Beispiele. Als erste Gemeinde in der Schweiz verankerte die Stadt Zürich 2011 einen wohnpolitischen Grundsatzartikel in der Gemeindeordnung. Darin setzt sich die Stadt zum Ziel, den Anteil an gemeinnützigen Wohnungen am Mietwohnungsbestand bis 2050 auf einen Drittel zu steigern. Ein Jahr darauf nahm 2012 die Bevölkerung der Stadt Luzern die Initiative «Für zahlbaren Wohnraum» an. Diese fordert, den Anteil an gemeinnützigen Wohnungen innert 25 Jahren auf mindestens 16 Prozent zu steigern. Und in der Stadt Biel soll der Anteil der Genossenschaftswohnungen bis ins Jahr 2035 von heute rund 15 auf 20 Prozent erhöht werden. Der Stadtrat hat dieses Ziel im Reglement über die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus festgeschrieben – auf Druck einer Volksinitiative, die anschliessend zurückgezogen wurde.

Welches sind die Vor- und Nachteile?
Vorteil
Ein solcher demokratisch legitimierte Auftrag zur Festlegung eines bestimmen Anteils an gemeinnützigem Wohnungsbau kann viel in Gang setzen. Das sieht man etwa an den Städten Zürich, Luzern oder Biel, die ihr Engagement seither deutlich gesteigert haben.

Nachteil
Trotz hohem Engagement kann es sein, dass das gesteckte Ziel nicht erreicht wird. Die Stadt Zürich beispielsweise verfügt nur noch über sehr wenig Bauland und Transformationsareale. Da sie kaum private Grundeigentümer in die Pflicht nehmen kann muss sie das Ziel fast ausschliesslich aus eigener Kraft erreichen. Das erfordert hohe finanzielle Mittel, wie zum Beispiel mit à-fonds-perdu-Beiträgen oder dem neu mit 300 Millionen Franken geschaffenen Wohnraumfonds.

Was gilt es zu beachten?
  • Die Zielvorgabe kann die Gemeinde entweder in der Gemeindeordnung oder in Reglementen festgeschrieben (siehe auch «F. Erarbeiten von strategischen Grundlagen»). Wird die Zielvorgabe über den Weg einer Volksinitiative verlangt, sollte sie in der Gemeindeordnung festgeschrieben werden.
  • Die Frage, ob ein realistisches oder ein sehr ambitioniertes Anteilsziel festgeschrieben werden soll, muss von Fall zu Fall abgewogen werden. Häufig erarbeiten die Exekutive oder (wo es sie gibt) die Legislative einen Gegenvorschlag mit einem tieferen Zielwert. Das kann ein Grund sein, in der Initiative ein relativ ambitioniertes Ziel zu fordern.
  • Die Forderung nach einem höheren Marktanteil kann gut mit konkreten Massnahmen zur Zielerreichung kombiniert werden, beispielsweise gemeindeeigenes Land an gemeinnützige Bauträger abgeben, finanzielle Förderung von gemeinnützigen Wohnbauträgern (Beispiele Luzern und Schaffhausen). Es hat Vor- und Nachteile, eine Zielvorgabe zu ergänzen mit Massnahmen, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Wird der Weg dazu offengelassen, ist die Gefahr grösser, dass die Zielvorgabe toter Buchstabe bleibt. Werden konkrete Massnahmen vorgeschlagen, bieten die Initiantinnen und Initianten mehr Angriffsfläche für die potenzielle Gegnerschaft.
  • Die Zielvorgabe sollte nicht nur einen Zielwert (prozentualer Anteil) definieren, sondern auch eine zeitliche Vorgabe zur Zielerreichung enthalten. Wichtig sind bei dieser Forderung auch eine Pflicht zur regelmässigen Berichterstattung (fehlt beim Beispiel Winterthur).
  • Der Anteil kann sich entweder auf alle Wohnungen oder nur auf die Mietwohnungen beziehen und das selbstbewohnte Eigentum ausschliessen.
Welche weiteren Varianten gibt es?
Zieldefinition ohne zeitliche Frist
Das Reglement Wohnbaupolitik der Einwohnergemeinde Spiez von 2017 hält fest, dass der Anteil an preisgünstigen Mietwohnungen in der Gemeinde langfristig auf das durchschnittliche Niveau der Schweizer Gemeinden angehoben werden soll. Dieses Reglement wurde von der Volksinitiative «Bezahlbares Wohnen für alle» angestossen. Das Stimmvolk sprach sich 2016 für den Gegenvorschlag des Grossen Gemeinderats aus, wodurch der Gemeinderat den Auftrag fasste, ein Reglement zur Wohnbauförderung vorzulegen.


Es gibt viele weitere Beispiele von ähnlichen Zielsetzungen in entsprechenden Reglementen oder Strategiepapieren. Nicht alle gehen auf Volksinitiativen zurück. Küsnacht (ZH) etwa hält in seiner Liegenschaftenstrategie von 2017 fest, dass für 10 bis 15 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Wohnraum angeboten werden soll, der nach dem Grundsatz der Kostenmiete vermietet wird.

Noch allgemeiner hält es die Stadt Frauenfeld in ihrem Reglement über die Förderung von preisgünstigem Wohnraum. Sie sorgt im Rahmen ihrer Möglichkeiten insbesondere dafür, dass sich die Zahl der Wohnungen, die ohne Gewinnstreben nach dem Grundsatz der Kostenmiete vermietet werden, stetig erhöht (weder Zielvorgabe noch zeitliche Frist).

Festschreibung der Zielvorgabe in einem Reglement
Die Thuner Wohn-Initiative fordert den Erlass eines Reglements. Dieses soll als Ziel festlegen, dass sich im Jahr 2035 mindestens 15 Prozent der Wohnungen in der Gemeinde Thun im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauträgern befinden, die dem Prinzip der Kostenmiete verpflichtet sind (siehe «F. Erarbeiten von strategischen Grundlagen»).

Wie kann die Initiative formuliert werden?

Stadt Luzern – Volksinitiative «Für zahlbaren Wohnraum» - angenommen (Juni 2012)

Gestützt auf § 131 des Stimmrechtsgesetzes und Art. 6 der Gemeindeordnung der Stadt Luzern verlangen die unterzeichnenden Stimmberechtigten der Stadt Luzern in Form der Anregung:

Die Stadt Luzern setzt sich aktiv für die Schaffung und den Erhalt von preisgünstigem Wohnraum ein und setzt sich dazu das Ziel, dass bis in 25 Jahren ein Anteil von mindestens 16% des Wohnungsbestands nach Kriterien der Gemeinnützigkeit vermietet wird. Folgende Massnahmen sollen u.a. zur Zielerreichung beitragen:
Die Stadt stellt eigene Grundstücke gemeinnützigen Wohnbauträgerinnen zur Verfügung.
Sie integriert gemeinnützige Wohnbauträgerinnen bei raumplanerischen Entwicklungsschwerpunkten angemessen.
Sie verhandelt mit Grundeigentümern, um diese – als Gegenleistung zum Mehrwert durch planerische Massnahmen – vertraglich zur Erstellung eines angemessenen Anteils an preisgünstigen Wohnungen zu verpflichten.
Sie unterstützt gemeinnützige Wohnbauträgerinnen durch zinsvergünstigte Darlehen bzw. setzt sich dafür ein, dass solche Darlehen durch den Kanton gewährt werden.

Alle fünf Jahre erstattet der Stadtrat Bericht über den Fortschritt zu diesem Ziel hin.

Schaffhausen - Volksinitiative «zur Förderung des gemeinnützigen Wohnraums» - eingereicht (Oktober 2020), Stadtrat erarbeitet Gegenvorschlag, Ausgang noch offen

Die Verfassung der Stadt Schaffhausen wird folgendermassen geändert:

Art. 2b (neu)
Abs. 1 Die Stadt Schaffhausen strebt eine stetige Erhöhung des Anteils der Wohnungen im Eigentum von Trägern des gemeinnützigen Wohnungsbaus am Gesamtwohnungsbestand an.
Abs. 2 Sie setzt sich zum Ziel, dass auf Gemeindegebiet mindestens 10 Prozent der vermieteten Wohnungen im Eigentum von Trägern sind, welche die Gemeinnützigkeitsanforderungen im Sinne von Art. 37ff. der eidgenössischen Wohnraumförderungsverordnung (WFV) erfüllen.
Abs. 3 a) Bis zur Erreichung dieses Ziels
1. werden keine Grundstücke und Gebäude verkauft, die der Stadt Schaffhausen oder einer von ihr beherrschten Unternehmung gehören und sich in Zonen für die Wohnnutzung befinden;
2. zieht die Stadt Schaffhausen gemeinnützige Wohnbauträger bei der Vergabe von Grundstücken im Baurecht anderen Bewerbern vor.
b) Ausdrücklich vorbehalten bleiben
1. der Verkauf von Grundstücken und Gebäuden an gemeinnützige Wohnbauträger;
2. vom Grossen Stadtrat aufgrund eines überwiegenden öffentlichen Interesses bewilligte und dem fakultativen Referendum unterworfene Ausnahmen;
3. Tauschgeschäfte von Grundstücken und Gebäuden;
4. Verkäufe unterhalb einer Wesentlichkeitsgrenze.

Dietikon - Volksinitiative «Bezahlbares Wohnen in Dietikon» - abgelehnt, Gegenvorschlag angenommen (Juni 2023)

Die Volksinitiative verlangt, dass die Gemeindeordnung wie folgt ergänzt wird:
Die Gemeinde gewährleistet, dass sich mindestens ein Viertel aller Mietwohnungen im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauträgern befindet, die ohne Gewinnabsichten dem Prinzip der kostendeckenden Mieten verpflichtet sind. Ausgenommen von dieser Berechnung sind Wohnungen und Einfamilienhäuser im selbst genutzten Eigentum. Für die Erreichung der Ziele setzt die Gemeinde das Jahr 2050 als Zeithorizont. Der Stadtrat erstattet jährlich über den Fortschritt Bericht.

Mit dem Ja zum Gegenvorschlag des Gemeinderats wird die Dietiker Gemeindeordnung um folgende Sätze ergänzt: «Die Gemeinde fördert qualitativ hochwertigen, preisgünstigen Wohnraum. Dafür werden städtische Grundstücke grundsätzlich im Baurecht an gemeinnützige Wohnbauträger abgetreten. Der Stadtrat erstattet alle vier Jahre Bericht über den Fortschritt.» Die Forderung der Initiantinnen und Initianten, dass in Dietikon bis 2050 ein Viertel der Mietwohnungen gemeinnützig sein sollen, fand keine Mehrheit.
 

Winterthur - Initiative «Wohnen für alle» - eingereicht (Februar 2022), Stadtrat erarbeitete Gegenvorschlag, Ausgang noch offen

Die Gemeindeordnung vom 26. September 2021 wird wie folgt geändert:

7a Zahlbare und qualitativ hochwertige Wohnungen und Gewerberäume
Art. 70a Zahlbare und qualitativ hochwertige Wohnungen und Gewerberäume

1. Die Stadt setzt sich aktiv für den Schutz, die Erhaltung und die Erhöhung des Anteils von zahlbaren und qualitativ hochwertigen Wohnungen und Gewerberäumen ein.
2. Sie verpflichtet sich dem Ziel einer soziodemografisch durchmischten Wohnbevölkerung in allen Quartieren. Sie gewährleistet, dass sich mindestens ein Viertel aller Mietwohnungen im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauträgern befindet, die ohne Gewinnabsichten dem Prinzip der kostendeckenden Mieten verpflichtet sind. Ausgenommen von dieser Berechnung sind Wohnungen und Einfamilienhäuser im selbst genutzten Eigentum.

Übergangsbestimmung:
Für die Erreichung von mindestens einem Viertel des Mietwohnungsbestandes im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauträgern setzt die Gemeinde das Jahr 2040 als Ziel.
 

Chur - Initiative «Für mehr bezahlbaren Wohnraum» - abgelehnt (Februar 2016)

Die Verfassung der Stadt Chur (vom 5. Juni 2005) soll wie folgt geändert werden:

c) Förderung von bezahlbarem Wohn- und Gewerberaum
Art. 4a (neu)
1 Die Stadt setzt sich aktiv für den Schutz, die Erhaltung und die Erhöhung des Anteils von zahlbaren und qualitativ hochwertigen Wohnungen und Gewerberäumen ein.
2 Sie sorgt für eine stete Erhöhung der Anzahl Wohnungen, die sich im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauträgerinnen oder Wohnbauträgern befinden, die ohne Gewinnabsichten dem Prinzip der Kostenmiete verpflichtet sind.
Art. 58 (neu)
1 Die Stadt setzt sich als vorläufiges Ziel innert 20 Jahren nach Annahme der Initiative durch das Stimmvolk einen Anteil von gemeinnützigen Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand (ausgenommen von dieser Berechnung sind Einfamilienhäuser und selbstgenutztes Wohneigentum) von mindestens 12 Prozent zu erreichen.
2 Der Stadtrat erstattet dem Gemeinderat während der in Abs. 1 genannten Frist alle zwei Jahre Bericht über das Erreichen dieser Ziele; namentlich über die Entwicklung des Anteils gemeinnütziger Wohnungen, zahlbaren Gewerberäumen sowie über die getroffenen Massnahmen zum Erhalt und zur Förderung preisgünstiger oder gemeinnütziger Wohnungen.